Des Aenus‘ letzter Sieg

In coronaren Zeiten sind Reisen ins Ausland mit schlecht kalkulierbarem Ausgang verbunden. Komme ich problemlos wieder zurück? Wo kann ich mich testen lassen? Muss ich in Quarantäne? Bleibe ich gesund? Diese Unwägbarkeiten führten zu zahlreichen Stornos – Urlaube wurden gecancelt, mancher Törn am Meer verschoben. Wo finden sich Alternativen? Was ist dennoch möglich?

Wenn die Affinität zum Wasser auch in der Pandemie vorhanden bleibt, dann muss man eben auf das Naheliegende ausweichen.

Seit nun fast 50 Jahren leben meine Frau und ich in Braunau am Inn. Oft spazieren wir an „unserem Fluss“ entlang: an milden Tagen bei Sonnenschein oder windigen bei Regen, am tosenden Kraftwerk in Ranshofen vorbei zum Damm oder durchs beschauliche Vogelparadies der Hagenauer Bucht. Wir kennen seine aufgestaute Stille, aber auch die unbändige Kraft bei Hochwasser. Wir lieben die vielen Farbnuancen, sein gleißendes Funkeln, auch sein frostiges Grau. Die meisten Kilometer seiner Länge – es sind 517 – kennen wir ein wenig.

Der Lunghinsee oberhalb Maloja in den Schweizer Albula-Alpen auf 2485 Meter gilt als Ursprung des Inns.

Hoch oben in Graubünden beginnt es, hier muss im Zentralmassiv der Alpen das Schweizer Wasser sich entscheiden: Nordsee, Adria oder Schwarzes Meer. Vor sattsam Jahren sind wir ihm entlang gefahren, dem bescheidenen Bächlein aus dem Lunghinsee. Wir bestaunten die Farbe, die bei St. Moritz die Gletschermilch der Bernina ihm verpasst – sein Name bleibt erhalten und ab hier ist er der stolze „Grüne Inn“.

Eine historische Aufnahme aus 1992: mehr Gletschermilch als Inn-Wasser, aber doch behauptet sich sein Name: Inn.

Nahe beim Reschenpass will er fast zum Italiener werden, aber er entscheidet sich für das vielgeliebte Österreich. Durch den Alpenhauptkamm gräbt er sich verwegen hinunter. Bald lässt er die Landeshauptstadt Innsbruck hinter sich und auch Kufstein, die vielbesungene Perle Tirols. Verstärkt durch reichlich Seitental-Gewässer durchbricht er schließlich die Nördlichen Kalkalpen und gleitet hinaus ins nördliche Alpenvorland. Ein paar Wasserläufe sammelnd durchfließt er nun im großen Bogen das Bayernland. Ein wenig Heimweh plagt ihn doch und so holt er sich die hübsche Salzach ins Bett und gibt sich nun als stolzes Grenzgewässer zwischen Österreich und Deutschland. Hier stoppen wir die Fahrt entlang des Flusses, denn gleich nebenan liegt unsere Heimatstadt Braunau am rechten Ufer des Inns.

Braunau am Inn, Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks, darf sich den Fluss mit dem bayrischen Simbach teilen.

Bekanntlich endet die lange Reise als Innwasser aber erst in der Donau. Natürlich durften wir die berühmte Mündungsstadt schon öfters besuchen und auch so manche Orte dazwischen, aber ein paar Kilometer fehlten immer noch, das letzte Stück, unser weißer Fleck, die finale Prüfung für den Wasserweg, der Durchbruch von Schärding nach Passau. Ein Karte gibt einen schnellen Überblick zum gesamten Verlauf des Flusses:

Der Inn auf seinem Weg zur Donau – En heißt er bei den Rätoromanen und Aenus nannten ihn die Römer.

Die besondere Herausforderung vor dem Ziel ist der beginnende Granit der Böhmischen Masse in ihren südlichen Rändern. Bavarikum nennen das Gebiet die Geologen in einem Tektonischen Überblick:

Gelb markiert ist hier der letzte Weg des Inns und ausgerechnet rosa gefärbt ist der harte Durchbruch zur Donau.

Es ist der 1. Oktober 2020 und ein strahlend schöner Herbsttag. Vor einem Jahr waren wir zuletzt am Wasser unterwegs – an diesem Tag in Italien von Agropoli nach Maratea (sh. Berichtelink). Jetzt wollen wir, nach mindestens drei vermasselten Törns am Meer, das erste Mal wieder auf ein Schiff. Corona erlaubt zumindest das Naheliegende – es ist Zeit die Heimat zu entdecken. Nun laden Elisabeth und ich dich ein. Zusammen wollen wir unser Missing Link einfügen. In Schärding kann es losgehen und bis zum Kraftwerk Ingling sollte uns der Inn problemlos tragen. Dort versperrt die fehlende Schleuse leider kurz vor Passau die Einfahrt in die Donau, aber da waren wir ab der Innstadt ohnehin schon spazierend unterwegs.

Auffällig schmal im Fleckerlteppich gibt sich vor allem das Inntal von Vornbach bis Wernstein: Aber Aenus gibt sich nicht geschlagen!

Wir suchen uns – Maps sei nicht gedankt, es führt uns vorerst in die Irre – die Bootsanlegestelle von Kapitän Schaurecker in Schärding. Sie liegt mittig zwischen den beiden Innbrücken genau gegenüber dem Kloster Neuhaus oder etwas weiter gefasst wiederum genau zwischen der Mündung der Rott auf bayrischer und der der Pram auf oberösterreichischer Seite:

Jetzt aber sind wir da, Masken auf zum Einsteigen – 14 Uhr zeigt das Smartphone, es kann losgehen. Durch Klicken auf das erste Bild der Kleinansichten folgt eine vergrößerte Anzeige mit etwas erklärendem Text je Aufnahme:

Herrliche zwei Stunden Innschifffahrt und ein netter Spaziergang durch die sehr sehenswerte barocke Altstadt Schärdings liegen hinter uns und wir können den Ausflug nur empfehlen. Falls du auch einmal zwei interessante und beschauliche Stunden auf dem Inn verbringen möchtest, dann such dir einen sonnigen Tag mit normalem Pegelstand dafür aus und mach dich auf die Socken. Die wichtigsten Informationen findest du vorab durch Klicken auf den nachfolgenden Screenshot:

Das mit dem oben erwähnten Pegelstand ist nicht ganz unwichtig. Was der Inn mit der Umgebung von Schärding und Neuhaus anstellen kann, weil die Wassermassen bei Hochwasser nicht schnell genug durch die Enge zwischen Vornbach und Wernstein hindurch können, das zeigt ein Bild aus 2013:

Das Inn- und Pramtal sind im Hochwasser versunken – im Vordergrund das Kloster Neuhaus umzingelt.

Um es hier nicht tragisch ausklingen zu lassen: Normalerweise bringt der Inn sein Wasser problemlos durch die Granitenge und lässt in Ingling noch einmal, so wie schon in über zwanzig Kraftwerken davor, einen Teil seiner Power zurück. Aenus hat nun seinen letzten Sieg errungen. Nun kann er friedlich und entspannt seiner Bestimmung entgegengleiten: sie, die schöne Blaue, wartet auf ihn und er, der Grüne färbt sie ein Stück weit mit seinem Samen:

Nun versucht die Donau das Grün des Inns in Blau umzufärben! Was in Passau normal ist, das wär es politisch nicht.

Was würde zum Abschluss meiner Nachmittagsgeschichte besser passen, als eine Aufnahme des auf einem mächtigen Huchen reitenden göttlichen Aenus in gelungener Darstellung des personifizierten Inns:

Skulptur in Simbach am Inn vor der alten Flussbrücke hinüber zu unserer Heimatstadt Braunau

Veröffentlicht von ANTE

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